Wie wäre es heute mal mit
“Sassicaia Pinot Noir” aus einer Wüste am Ende der Welt? Anfang
dieses Jahres stellte ein gewisser Kapitän zur (Wein-)See einen Pinot Noir
aus Argentinien vor, von dem er offensichtlich ziemlich begeistert war.
Dabei handelte es sich um den Bodegas Chacra Treinta y Dos des Jahres
2009. Ich muss zugeben, dass mich die "Reine Begeisterung" dieses reinen
Pinot Noir etwas ansteckte und ich daher beschloss mir einen Wein
dieses Weingutes zu besorgen - obwohl ich jahrelang gegenüber diesem
Erzeuger mich aufgrund der bedenklichen Preisgestaltung in
Zurückhaltung übte. Da ich in finanzieller Hinsicht eindeutig ein
Teil des abgehängten Prekariat bin, hat es bei mir nur zum
Einstiegswein bzw. Viertwein des Weingutes gereicht. Ich sage, oder schreibe, nur: Manchmal ist es ganz vorteilhaft „arm“ zu sein! Dazu
aber später mehr …
Zunächst erst mal die
Frage: „Warum eigentlich „Sassicaia Pinot Noir“? Kurz: im Jahre
2004 kaufte der Marchese Piero Incisa della Rocchetta, seines
Zeichens aktueller Weinmacher des Sassicaia, sehr alte verwaiste
Pinot Noir (Pflanzungen zwischen 1932 und 1967) Weinberge im Rio
Negro Tal im nördlichen Patagonien ca. 1000 südlich von Buenos
Aires. Die klimatischen Bedingungen Vorort sind extrem trocken, die Böden bestehen aus porösem Kieselstein mit beträchtlichen
Kalksteinablagerungen und sind dementsprechend sehr karg. Einer der
wenigen Vorteile dieser Anbauregion war und ist, dass sie nie von der
Reblaus besucht wurde.
Das Traubengut des
heutigen Pinot Noir's, dem Barda (Kamm oder Bergzug), stammt
aus verschiedenen alten und neu gepflanzten Rebanlagen. Die Handlese
der Trauben fand im März 2009 statt, die dreiwöchige Vergärung
fand bei ca. 26 C in 200 Liter Betontanks unzerdrückt (aber
anscheinend enttrappt) in Verbindung mit wilden Hefen statt und
machte letztlich eine 11 monatige Reifephase in kleinen französischen
Holzfässern mit.
Beim heutigen Wein möchte
ich eine etwas andere Vorgehensweise anstreben. Eine Vorgehensweise
die sich bei einem klassischen, wie man so schön beim Weinpalaver
formuliert, Babymord gezwungenermaßen anbietet. Ich habe den Wein
über drei Tage verkostet und konnte beträchtliche
Emotionsschwankungen beim Wein und bei meiner Person feststellen. Die
wie meistens erwähnt - erste „Dimension“, die Farbe, durchlitt
keine sonderlichen Veränderungen. Sie war ziemlich dunkel für ein
Pinot Noir, aber sehr transparent und wahrscheinlich ein wenig fahl
oder grauschleierig. Letzteren visuellen Eindruck kann ich nicht
wirklich gut beschreiben, da ich diesen eher sehr selten, oder so
noch nie, vor mir im Glase vernehmen durfte. Zumindest nicht bewusst!
Nun ja, soweit wie gehabt. Bei Geruch und Geschmack möchte ich einen
etwas prägnanteren, strukturierten und chronologischen
Beschreibungsstil an den Tag legen. Sonst wird die heutige
Pinotbeschreibung zu einer nicht enden wollenden Vinolysses, welche
dieser Wein meines Erachtens nicht verdient hätte.
Tag 1.
Geruch: sehr parfümierter
Charakter der in den letzten Winkel der Nase vordringt, unangenehmer
Duft von Corned Beef, etwas Moschus, extrem dunkler und scharfer Rauch, Gefühle von
staubigem Geschirrschrank (das Glas war es nicht), Wacholder,
ausgetrocknete dunkle Erde, sehr alkoholisch, ziemlich schwache Eindrücke
von sehr überreifen an-rosinierten dunklen Kirschen, Schuhcreme
(braun), tonnenweise Lakritze
Geschmack: Guinness,
Guinness und nochmal Guinness (Stout); angereichert mit schüchternen
Anklängen von überreifen und getrockneten dunklen Kirschen, sehr
staubiger hochprozentiger Bitterschokolade, enorm viel
ätherisch-alkoholische Noten (14%) und einem richtig fiesen und
super harten Tannin wie man es bei Pinot Noir nur selten findet.
Ganz sicher einer der seltsamsten Pinot Noir die ich je getrunken habe. Meine
Gefühlslage an Tag 1. war etwas zwischen Schock, Überraschung,
verdrehtem Interesse und Wut, gepaart mit Erleichterung das ich
"arm" bin und keinen der Top-Weine gekauft habe (wobei ich nicht natürlich unterstellen
möchte, dass der Treinta y Dos oder ein anderer Pinot des Hauses
automatisch ähnliche Attribute an den Tag gelegt hätte).
Tag 2.
Geruch:insgesamt ein
ähnlicher Charakter; seine extrem parfümierte Art hat er ein wenig
ablegen können und vermochte es etwas mehr dunkle
Kirschfrucht zuzulassen, die unangenehmen Nebengerüche waren immernoch präsent
Geschmack: das Guinness
erwies sich als etwas verwässert und wurde von sehr sehr reifer Kirschfrucht
ausgebremst; diese Frucht wirkte sehr rosinig und ein wenig
cola-lastig; der Alkohol war nicht mehr so präsent, aber eine fiese
Fruchtsüße, die am ersten Tag nicht vorhanden war, kam ziemlich
stark durch; das Tannin verweilte im Harten-Modus; immer noch erschien
mir der Wein als extrem unausbalanciert, penetrant und ein wenig
bösartig. Meine Gefühlslage an Tag 2. war neutral angepisst und
bezüglich der Handlungsoptionen zwischen - (1) auf in den Topf
mit dem Zeug oder (2) Korken drauf und warten – angesiedelt.
Offensichtlich habe ich Option (2) gewählt.
Tag 3.
Geruch: immer mehr und
mehr Frucht, sogar gar nicht mehr so überreif und rosinig wirkend;
keine Lakritze mehr, kein Rauch mehr; fast nichts mehr vom extrem
parfümiertem Stil übrig; sehr gewaltig, erdig und ernsthaft
wirkend; der ätherisch-alkoholische Einschlag ging nicht ganz unter; ein wenig peffrig scharf
Geschmack: keine Lakritze
mehr, kein Rauch mehr, kein Guinness mehr; viel staubige, etwas scharf wirkende überreife
und sehr ruppige Kirschfrucht mit immer noch sehr anstrengendem
Charakter; das Tannin entsprach nun eher einem ruppigen und sehr
klassisch vinifizierten Burgunder (bei dem kräftig Grünzeug mitvergoren wurde); das erste Mal in den drei Tagen
konnte ich mir vertraute Pinot Eigenschaften erschmecken; der Alkohol
war an der obersten Grenze meiner Toleranzfähigkeit; der Abgang war
gewaltig, noch etwas seh bitter, trotz Verbesserung unangenehm und ziemlich lang anhaltend;
verhaltene Anzeichen von Balance verbreiteten sich auf meinen
Geschmacksknospen und Gehirnzellen; trotz der positiven Entwicklungen
immer noch ein wenige Wochen altes Baby das viel schreit und heult. Meine
Gefühlslage am 3. Tag war hoffnungsvoll für eine rosigere Zukunft
für diesen Wein - die ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr
erleben werde (oder möchte)!
Ganz sicher einer der
seltsamsten Pinot Noirs meines Lebens! Ab dem dritten Tag sicher
antrinkbar, doch es wäre empfehlenswert den Wein irgendwo hinten im
Keller für die nächsten Jahre zu verstecken. Seinen speziellen Charakter wird er dadurch aber auch nicht ganz verliehren! Als Fazit: ein für
mich unbewertbarer, würzig feurig scharfer, ziemlich komplexer, etwas schmutziger,
sehr gewaltiger, wilder Tango-Pinot der es vermochte mich zu
schockieren und gegen Ende hin etwas hoffnungsvoller zu stimmen.
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