3.5.13

Bodegas Chacra Barda Pinot Noir 2009, Patagonia



Wie wäre es heute mal mit “Sassicaia Pinot Noir” aus einer Wüste am Ende der Welt? Anfang dieses Jahres stellte ein gewisser Kapitän zur (Wein-)See einen Pinot Noir aus Argentinien vor, von dem er offensichtlich ziemlich begeistert war. Dabei handelte es sich um den Bodegas Chacra Treinta y Dos des Jahres 2009. Ich muss zugeben, dass mich die "Reine Begeisterung" dieses reinen Pinot Noir etwas ansteckte und ich daher beschloss mir einen Wein dieses Weingutes zu besorgen - obwohl ich jahrelang gegenüber diesem Erzeuger mich aufgrund der bedenklichen Preisgestaltung in Zurückhaltung übte. Da ich in finanzieller Hinsicht eindeutig ein Teil des abgehängten Prekariat bin, hat es bei mir nur zum Einstiegswein bzw. Viertwein des Weingutes gereicht. Ich sage, oder schreibe, nur: Manchmal ist es ganz vorteilhaft „arm“ zu sein! Dazu aber später mehr …

Zunächst erst mal die Frage: „Warum eigentlich „Sassicaia Pinot Noir“? Kurz: im Jahre 2004 kaufte der Marchese Piero Incisa della Rocchetta, seines Zeichens aktueller Weinmacher des Sassicaia, sehr alte verwaiste Pinot Noir (Pflanzungen zwischen 1932 und 1967) Weinberge im Rio Negro Tal im nördlichen Patagonien ca. 1000 südlich von Buenos Aires. Die klimatischen Bedingungen Vorort sind extrem trocken, die Böden bestehen aus porösem Kieselstein mit beträchtlichen Kalksteinablagerungen und sind dementsprechend sehr karg. Einer der wenigen Vorteile dieser Anbauregion war und ist, dass sie nie von der Reblaus besucht wurde.

Das Traubengut des heutigen Pinot Noir's, dem Barda (Kamm oder Bergzug), stammt aus verschiedenen alten und neu gepflanzten Rebanlagen. Die Handlese der Trauben fand im März 2009 statt, die dreiwöchige Vergärung fand bei ca. 26 C in 200 Liter Betontanks unzerdrückt (aber anscheinend enttrappt) in Verbindung mit wilden Hefen statt und machte letztlich eine 11 monatige Reifephase in kleinen französischen Holzfässern mit.



Beim heutigen Wein möchte ich eine etwas andere Vorgehensweise anstreben. Eine Vorgehensweise die sich bei einem klassischen, wie man so schön beim Weinpalaver formuliert, Babymord gezwungenermaßen anbietet. Ich habe den Wein über drei Tage verkostet und konnte beträchtliche Emotionsschwankungen beim Wein und bei meiner Person feststellen. Die wie meistens erwähnt - erste „Dimension“, die Farbe, durchlitt keine sonderlichen Veränderungen. Sie war ziemlich dunkel für ein Pinot Noir, aber sehr transparent und wahrscheinlich ein wenig fahl oder grauschleierig. Letzteren visuellen Eindruck kann ich nicht wirklich gut beschreiben, da ich diesen eher sehr selten, oder so noch nie, vor mir im Glase vernehmen durfte. Zumindest nicht bewusst! Nun ja, soweit wie gehabt. Bei Geruch und Geschmack möchte ich einen etwas prägnanteren, strukturierten und chronologischen Beschreibungsstil an den Tag legen. Sonst wird die heutige Pinotbeschreibung zu einer nicht enden wollenden Vinolysses, welche dieser Wein meines Erachtens nicht verdient hätte.

Tag 1.

Geruch: sehr parfümierter Charakter der in den letzten Winkel der Nase vordringt, unangenehmer Duft von Corned Beef, etwas Moschus, extrem dunkler und scharfer Rauch, Gefühle von staubigem Geschirrschrank (das Glas war es nicht), Wacholder, ausgetrocknete dunkle Erde, sehr alkoholisch, ziemlich schwache Eindrücke von sehr überreifen an-rosinierten dunklen Kirschen, Schuhcreme (braun), tonnenweise Lakritze

Geschmack: Guinness, Guinness und nochmal Guinness (Stout); angereichert mit schüchternen Anklängen von überreifen und getrockneten dunklen Kirschen, sehr staubiger hochprozentiger Bitterschokolade, enorm viel ätherisch-alkoholische Noten (14%) und einem richtig fiesen und super harten Tannin wie man es bei Pinot Noir nur selten findet. Ganz sicher einer der seltsamsten Pinot Noir die ich je getrunken habe. Meine Gefühlslage an Tag 1. war etwas zwischen Schock, Überraschung, verdrehtem Interesse und Wut, gepaart mit Erleichterung das ich "arm" bin und keinen der Top-Weine gekauft habe (wobei ich nicht natürlich unterstellen möchte, dass der Treinta y Dos oder ein anderer Pinot des Hauses automatisch ähnliche Attribute an den Tag gelegt hätte).

Tag 2.

Geruch:insgesamt ein ähnlicher Charakter; seine extrem parfümierte Art hat er ein wenig ablegen können und vermochte es etwas mehr dunkle Kirschfrucht zuzulassen, die unangenehmen Nebengerüche waren immernoch präsent

Geschmack: das Guinness erwies sich als etwas verwässert und wurde von sehr sehr reifer Kirschfrucht ausgebremst; diese Frucht wirkte sehr rosinig und ein wenig cola-lastig; der Alkohol war nicht mehr so präsent, aber eine fiese Fruchtsüße, die am ersten Tag nicht vorhanden war, kam ziemlich stark durch; das Tannin verweilte im Harten-Modus; immer noch erschien mir der Wein als extrem unausbalanciert, penetrant und ein wenig bösartig. Meine Gefühlslage an Tag 2. war neutral angepisst und bezüglich der Handlungsoptionen zwischen - (1) auf in den Topf mit dem Zeug oder (2) Korken drauf und warten – angesiedelt. Offensichtlich habe ich Option (2) gewählt.

Tag 3.

Geruch: immer mehr und mehr Frucht, sogar gar nicht mehr so überreif und rosinig wirkend; keine Lakritze mehr, kein Rauch mehr; fast nichts mehr vom extrem parfümiertem Stil übrig; sehr gewaltig, erdig und ernsthaft wirkend; der ätherisch-alkoholische Einschlag ging nicht ganz unter; ein wenig peffrig scharf

Geschmack: keine Lakritze mehr, kein Rauch mehr, kein Guinness mehr; viel staubige, etwas scharf wirkende überreife und sehr ruppige Kirschfrucht mit immer noch sehr anstrengendem Charakter; das Tannin entsprach nun eher einem ruppigen und sehr klassisch vinifizierten Burgunder (bei dem kräftig Grünzeug mitvergoren wurde); das erste Mal in den drei Tagen konnte ich mir vertraute Pinot Eigenschaften erschmecken; der Alkohol war an der obersten Grenze meiner Toleranzfähigkeit; der Abgang war gewaltig, noch etwas seh bitter, trotz Verbesserung unangenehm und ziemlich lang anhaltend; verhaltene Anzeichen von Balance verbreiteten sich auf meinen Geschmacksknospen und Gehirnzellen; trotz der positiven Entwicklungen immer noch ein wenige Wochen altes Baby das viel schreit und heult. Meine Gefühlslage am 3. Tag war hoffnungsvoll für eine rosigere Zukunft für diesen Wein - die ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr erleben werde (oder möchte)!

Ganz sicher einer der seltsamsten Pinot Noirs meines Lebens! Ab dem dritten Tag sicher antrinkbar, doch es wäre empfehlenswert den Wein irgendwo hinten im Keller für die nächsten Jahre zu verstecken. Seinen speziellen Charakter wird er dadurch aber auch nicht ganz verliehren! Als Fazit: ein für mich unbewertbarer, würzig feurig scharfer, ziemlich komplexer, etwas schmutziger, sehr gewaltiger, wilder Tango-Pinot der es vermochte mich zu schockieren und gegen Ende hin etwas hoffnungsvoller zu stimmen.

No comments: